Aktuelle gedanken

24.5.2020

Das Politische in der Zetteltasche

 

Vorgestern hörte ich eine Ö1 Sendung von einem Interview mit Sara Ostertag, einer wunderbaren Regisseurin im Kinder- und Jugendtheater. Es beeindruckte mich extrem, wie redegewandt sie Dinge formulierte, die ich eins zu eins unterschreiben wollte und ich fragte mich, warum ich nicht dort im Radiokulturhaus saß und solche schönen Gedanken formulierte. Eine Wienerin in meinem Alter. Also jemand, mit dem ich mich getrost vergleichen konnte (wenn es denn sinnvoll wäre, sich mit egal wem zu vergleichen). Dann erzählte sie, wo überall in der Welt sie studiert hatte, und ich dachte daran, wie schwer ich mir schon in der Universität hier in Wien getan hatte - der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Gegen welche Wände ich da gerannt bin. Dieses Gefühl, nicht am richtigen Ort zu sein und auf irgendeiner Weise nicht zu verstehen, wie das alles funktionierte. Ein latentes Gefühl des Ungenügens hat mich an der Universität begleitet und umso älter ich werde und umso mehr mein politisches Bewusstsein wächst, weiß ich, es ist eine Frage der gesellschaftlichen Schicht, aus der ich komme. Meine Familie hat auf einer Seite eine Ahnengeschichte, in der Besitzer von einem Fiakerunternehmen vorkommen, das sich dann in ein Taxiunternehmen weiter entwickelt hatte und auf der anderen Seite stamme ich von Hut- und Schuhmachern zur Zeit von Kaiser Franz Josef ab - zugewandert aus Böhmen und Mähren. So wurde es mir von meinem Vater erzählt. Irgendwo kommt eine Heirat einer 15-Jährigen mit einem 40-Jährigen vor, es ist die Ahnenseite mit dem Fiakerunternehmen.

Jedenfalls ist da wohl aus Gründen der Existenzsicherung weit und breit niemand, der - geschweige denn die - jemals studiert hätte. Sehr wenig AkademikerInnen auch im Freundeskreis meiner Eltern - also auch wenig soziales Kapital.

Die Universität eine Welt, die mir eher fremd war, als ich anfing zu studieren. Es wird dort eine Sprache gesprochen, die ich in ihrer Grundstruktur nicht nachvollziehen kann.

Bei diesem Radiointerview mit Sara Ostertag wurde mir bewusst, dass die Zetteltasche, an der ich jetzt über mehrere Jahre autodidakt arbeite, auch ein Nachempfinden einer Geschichte des Archivs ist. Es ist unbewusst wohl auch der Versuch, ein System zu dekonstruieren, dem ich mich nicht zugehörig fühle, da die Tradition meiner politischen Herkunft keine ist, die eine Gedankenwelt auf universitär institutioneller Ebene kultiviert. Diesen Kanon habe ich nicht mit der Muttermilch aufgesogen und die Konfrontation mit dieser gesellschaftlichen Dimension ließ mich daran scheiternd mit einem Gefühl des Ungenügens zurück.

Während dem Zuhören dieses Interviews, im Vergleich mit dieser Wienerin in meinem Alter wurde mir bewusst, dass die Zetteltasche der Versuch war, mich dieser Welt zugehörig zu machen. Diese institutionslose, künstlerische Arbeit mit Notizen auf losen Zetteln hat es mir ermöglicht, mir einen persönlichen Zugang zu der historisch gewachsenen Technologie des Archivierens zu erarbeiten. Mich emotional und kognitiv mit etwas zu verbinden, das mich davor nur durch verwunderte Neugier anzog, sich mir aber durch versteckte Machtstrukturen nicht erschloss, da ich daran scheiterte. Konkret scheiterte ich zum Beispiel daran, für Prüfungen sinnvoll zu lernen, weil ich lediglich einen schulischen Zugang zum Lernen kannte, der auf reinem auswendig lernen basierte und mir nie beigebracht hatte, mir strukturiert eine inhaltliche Tiefe zu erarbeiten (man muss dazu sagen, dass das Bachelorsystem auch nicht viel tiefsinnigere Diskurse zulässt!). Diese soziale Hürde bekommt keine dafür vorgesehene Vermittlung, weil sie der Institution nicht bewusst zu sein scheint. Von den Studiengebühren ganz zu schweigen.

Die Zetteltasche befriedigt mein Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen. Sie als ganzer Mensch, in mich aufzunehmen und mit meiner Wahrnehmungswelt zu verbinden, sodass ich sie in einen intuitiven Umgang einschließen kann.

Sie könnte also als transsoziales Werkzeug funktionieren, mit dem dieses Gefühl des Ungenügens verhindert werden könnte, weil damit die individuelle Perspektive im Mittelpunkt steht und sich selbst bewusst gemacht werden kann. Fern der historisch gewachsenen Machtstrukturen, denen es nichts daran liegt, eine ArbeiterInnenschaft in das "höhere" System der Bildung zu integrieren, da die "obere Schicht" in ihrem Reichtum abhängig davon ist, dass es ArbeiterInnen gibt, die sich ihrer eigenen Vernunft nicht bewusst sind. Dazu kommen natürlich noch Hürden für andere Ethnien, Frauen, Transgendermenschen, homosexuelle Menschen und sonstige Minderheiten, die im System des "Weißen Mannes" nicht vorgesehen sind.

Ich denke, dass dieses Gefühl des Ungenügens, das ich erlebt habe, Teil eines Machtsystems ist, das mit der Zetteltasche umgangen werden kann.

Sie könnte als emanzipatorisches Bildungsinstrument funktionieren und diese Lücke der fehlenden Vermittlung füllen.

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05.04.2020

Bricolage

"Der von Claude Lévi-Strauss 1962 in die Anthropologie eingeführte Begriff Bricolage (von frz. bricoler herumbasteln, zusammenfummeln steht für ein Verhalten, bei dem der Akteur (Bricoleur) mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen Probleme löst, statt sich besondere, speziell für das Problem entworfene Mittel zu beschaffen."

Wikipedia

 

in den letzten tagen hat mich am allermeisten fasziniert

wie menschen aus dem, was sie haben, etwas neues entwickeln

wie dinge zu werkzeugen werden

die sie nicht bestimmt waren zu sein

ein streifen jerseystoff wird durch einen strohhalm zum gummiband

für mund-und-nasen-schutzmasken

die aus altem gewand genäht werden

von dem ja ohnehin viel zu viel produziert wird

oder schutzmasken aus einem halstuch und zwei haargummis ganz ohne nähen

wissenschaftliche artikel über die sinnhaftigkeit von haushaltsmaterialien für diese schutzmasken und staubsaugerbeutel als filtermaterial dafür

 

das müllsackerl wird zum ganzkörperschutz

das wohnzimmer wird zu einem erlebnispacour

die küche zur broadwaybühne

ein bühnenbild aus alufolie und küchengeräten

 

entwicklung ohne industrie

was alles möglich wird

ohne für jedes bedürfnis das richtige gerät zur verfügung zu haben

 

und auch die gesellschaft ist eine maschine

 

so wie ein zeichenspiel einen fixen rahmen schafft

um kreativität zu erleichtern

entsteht aus diesen einschränkungen ein neuer umgang mit den dingen

alles darf sich neu ordnen, wenn man es zulassen will

 

auch wenn die maßnahmen der regierung nicht als zeichenspiel gedacht sind

kann es doch als aufforderung dienen, sich darin zu entfalten

und sei es, um politisch aktiv zu werden

weil die bundesgärten zu schließen eigentlich garnichts bringt

und überwachungsapps schon seit george orwell keine lösung sein dürften

 

es ist ein zustand der aufmerksamkeit

der wachsamkeit

und eine möglichkeit, sich selbst neu zu positionieren

sogar im park sind die umgangsformen ganz andere

alle verteilen sich im empfohlenen sicherheitsabstand

über den raum, der uns zur verfügung steht

und man muss vollkommen anders miteinander interagieren

 

eine bricolage der neuen sozialen maßnahmen könnte es sein

um ein neues system daraus zu entwickeln

hoffentlich dauert es lange genug

(mit möglichst wenig toten)

damit dieses potential der neuordnung

so vielen von uns wie möglich

bewusst werden kann

 

 

 

 

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20.3.2020

ich bin mit isolation sehr vertraut.

 

2016 habe ich mich für ein monat nach einem mega-burn-out auf eine slowenische jagdhütte zurück gezogen. dort habe ich gelernt, die einsamkeit schätzen zu lernen und auf meine innere stimme zu hören. natürlich hatte ich angst. allein in einer hütte in irgendeinem slowenischen ort, wo ich niemanden kannte. irgendwann verlor ich die angst, weil ich die bewohnerInnen des ortes bei spaziergängen traf und merkte, sie sind eigentlich halbwegs vertrauenswürdig. außerdem besuchte ich eine aktuelle klöppelausstellung, die zufällig gerade im ortsmuseum gezeigt wurde und knüpfte dort kontakte.

jedenfalls wurde klar, dass diese ganze angst, die ich anfänglich hatte - allein in der jagdhütte - vollkommen umsonst war. später hatte ich diese angst nicht mehr und bei der erinnerung an diese angst wurde klar, ich wäre genausogut ohne sie ausgekommen und hätte eine viel entspanntere zeit dort mitten in der natur verbringen können.

es war eine wichtige erfahrung für meinen umgang mit angst. natürlich habe ich diese erinnerung nicht immer parat, aber an irgendeiner stelle meiner angst, wenn sie da ist, kommt diese erinnerung hervor.

ich erinnere mich auch an einen fußweg mitten durch die nacht. ich bin zu spät losgefahren und der bus von ljubljana fuhr nur noch bis zum nachbarort. also musste ich zu fuß zu meiner hütte und es wurde immer dunkler. ich hatte ziemlich angst. hinter jedem baum hätte irgendjemand hervorkommen können. irgendwann hörte ich dann sogar einen hirsch schreien. es war vollmond. also war es zumindest eine eher helle nacht. ich musste daran denken, was ich in dieser woche über die tarotkarte "der mond" gelesen hatte. sie symbolisiert das unbewusste, in dem nur die umrisse der darin vorhandenen dinge sichtbar, bzw. spürbar sind. genauso wie in dieser nacht, in der ich mich durch die dunkelheit fortbewegen musste. in diesem text über die tarotkarte stand, dass es darum ginge, im dunkeln zu taumeln ohne zu wissen, wo man hinsteigt. ohne zu wissen, worum es geht. sich in einer unsicheren umgebung zu bewegen und das heisst auch sich mit der eigenen angst zu konfrontieren. ich fing an, mich auf meinen körper zu konzentrieren. und nicht auf meine gedanken zu hören, die sich ständig ausmalten, was aus dieser dunkelheit am rande der landstraße hervorkommen könnte.

irgendwann marschierte ich kraftvoll und voller energie, sicheren schrittes durch diese dunkelheit. konzentrierte mich auf meine kraft. ließ die angstgedanken anwesend sein, während ich diese landstraße eroberte. es erschien mir magisch, dass ich das wissen um den symbolgehalt des mondes sofort in mein leben integrieren konnte.

 

die isolation ist ein perfekter ort, um sich mit seinen ängsten anzufreunden, ohne sie vom bewusstsein überhand nehmen zu lassen. nur in der isolation bemerkt man, welche dieser ängste aus dem eigenen inneren kommen und genau die kann man kultiviern. die isolation ist eine gelegenheit den inneren frieden kennen zu lernen. herauszufinden, wo er zuhause ist. an welchem ort in mir selbst liegt er und wie finde ich dort hin?

19.03.2020

es ist der versuch, gelesenes und gesehenes in der linearität des geschriebenen zu erfassen. einen ort des ausdrucks zu schaffen, wo mein blick zugang finden kann und wo ich praktische lösungen (leben) teilen kann. verbündete möchte ich erreichen, die sich in meinen worten wieder finden. denen ein funke überspringt, der das herz öffnet weil sich lesende verstanden fühlen. weil lesende das gefühl bekommen, sie sind nicht die einzigen - an einer mirkoskopischen stelle des bewusstseins soll ein gefühl von gleichklang entstehen. mikroskopische stellen des bewusstseins sollen daseinsberechtigung bekommen, weil sich die realitäten wohl zu überschneiden scheinen. ein gefühl von zusammengehörigkeit an den verdrängten stellen des selbst. teile, die von einer gesellschaftlich kultivierten, sprachlichen realität in den limbus des unterbewussten abgeschoben wurden. traumata. alle. die großen und die kleinen. verletzlichkeit kultivieren. all das.

ich will diesen ort nutzen, um der komplexität meiner gedanken, eine öffentlichkeit zu geben und eine beschreibung versuchen von dingen, die sich außerhalb abspielen.